Arabiens Stunde der Wahrheit by Peter Scholl-Latour

Arabiens Stunde der Wahrheit by Peter Scholl-Latour

Autor:Peter Scholl-Latour [Scholl-Latour, Peter]
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Tags: Belletristik
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2011-12-08T23:00:00+00:00


Pharaonen in Uniform

Wie Anwar es-Sadat von der in Kairo versammelten Militärjunta berufen wurde, die Nachfolge Gamal Abdel Nassers anzutreten, ist nicht bekannt. Böse Zungen behaupten, die Generale hätten den Unbedeutendsten unter ihnen zum Präsidenten gemacht, um ihre eigenen Ambitionen zu festigen. Dieser dunkelhäutige Offizier war nie aus dem Schatten seines Jugendfreundes Nasser herausgetreten, und manche belächelten ihn als einen gefügigen Botengänger des Rais, ja als eine Art »Bawab«, einen Türsteher. Niemand hätte ihm zugetraut, daß der stets lächelnde, elegant gekleidete Mann in seiner Regierungszeit weit mehr bewirken würde als sein Vorgänger, der Volksheld.

Im Hinblick auf die Muslimbrüder schlug er einen anderen, toleranten Kurs ein. Sadat hatte mit Sorge beobachtet, wie ein paar marxistische Ideologen Einfluß auf die Ministerien gewannen und sich mit den sowjetfreundlichen Nasseristen verbündeten. Also räumte er den frommen Ikhwan einen gewissen Bewegungsraum ein und entließ die meisten von ihnen aus der Haft. Keiner hätte vermutet, daß er im Herbst 1973 zum sogenannten Ramadan- oder Yom-Kippur-Krieg gegen Israel antreten würde, daß er in einer Überraschungsoffensive die Bar-Lev-Linie am Suezkanal niederwalzen und in die von Zahal besetzte Sinai-Halbinsel vorstoßen würde. Die Bar-Lev-Linie, nach einem israelischen Kommandeur benannt, hatte ich ein Jahr zuvor besichtigt. Unmittelbar am Wasser des Kanals hatten die Israeli eine Anzahl Sandburgen aufgebaut und mit Drahtgeflechten befestigt. Von dort konnte man in aller Deutlichkeit das militärische Treiben auf dem ägyptischen Westufer beobachten. Es mutete beinahe lächerlich an, daß die Pioniere Anwar es-Sadats hochgespannte Tücher an langen Stangen entfalteten, um dem zionistischen Gegner den Einblick in das eigene Dispositiv zu verwehren.

Noch heute bleibt es ein Rätsel, wie der israelische Nachrichtendienst und die israelische Luftwaffe jenseits dieser primitiven Tarnung nicht erkannt hatten, daß die ägyptische Armee sich in dichten Kolonnen zum Sturm vorbereitete und zur Nivellierung der Sandbunker der Bar-Lev-Linie riesige Saugapparate in Stellung brachte. Mindestens ebenso unverständlich bleibt es, daß der intensive Funkverkehr zwischen den ägyptischen und den syrischen Stäben, mit denen das simultane Vorrücken am Suezkanal und auf den Golanhöhen koordiniert wurde, vom Mossad nicht wahrgenommen wurde.

Sobald die Stäbe von Tel Aviv sich gefaßt hatten, holten sie zum vernichtenden Gegenschlag aus. Sadats Truppe hatte den Suezkanal überwunden, doch allzu tief trauten sie sich in die Sinai-Wüste nicht vor. Der syrische Staatschef Hafez el-Assad stieß zwar mit seinen Panzerkolonnen über die Golanhöhen hinweg nach Galiläa hinein, aber dann erlitt auch er verheerende Verluste. Dem robusten Truppenführer Ariel Scharon war es in einem Gewaltakt und gegen den Willen seiner Vorgesetzten gelungen, durch ein kühnes Manöver am »Déversoir« die Dritte Ägyptische Armee einzukreisen. Es bedurfte härtesten amerikanischen Drucks, um die Vernichtung dieser Kerntruppe des ägyptischen Heeres zu verhindern.

Immerhin war es den Ägyptern durch die Rückeroberung eines schmalen Streifens östlich des Suezkanals vergönnt, die Rolle der ewig Besiegten abzuschütteln, während die Strategen Israels zum ersten Mal die Erfahrung machten, daß ihre Hybris sie ein paar Tage lang an den Rand des Abgrundes gedrängt hatte. Während des Yom-Kippur-Krieges hatte ich mit allen Mitteln versucht, die Stadt Kairo und das nahe gelegene Schlachtfeld zu erreichen. Nur auf dem Umweg über Bengasi und am



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